Charon und Archon
- ursengeler
- 8. Dez. 2024
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Passim, das "Bulletin des Schweizerischen Literaturarchivs" aus der Schweizerischen Nationalbibliothek, erinnert in seiner jüngsten Ausgabe daran, dass, wie Magnus Wieland schreibt, "der Vergleich des Archivs mit dem Totenreich ein geläufiger Topos ist. Wie ein scharfsinniger Kollege einmal bemerkte, steckt in Charon tatsächlich ein anagrammatisch vertauschter Archon, ein Archivar. Seine Aufgabe ist das Übersetzen in der Bedeutung: Überführung der Literatur von der Gegenwart in die Nachwelt."
Dieser Aufgabe widmen sich am SLA u.a. Kristel Roder und Magnus Wieland: Die ersten Jahre der Verlage von Urs Engeler, nämlich die Anfänge mit "Zwischen den Zeilen" von 1992 bis zum Ende von Urs Engeler Editor im Jahr 2009, werden im Schweizerischen Literaturarchiv nicht nur aufbewahrt, sondern auch gepflegt. In seiner jüngsten Ausgabe "Schreiben-Übersetzen" erinnert das SLA gleich dreifach an diese Archivbestände:
Kristel Roder erinnert an: Peter Pan – nachersetzt von Birgit Kempker
Die Schriftstellerin und Perfomancekünstlerin Birgit Kempker veröffentlichte 2017 nicht eine «Neuübersetzung», sondern eine «Nachersetzung» von J.M. Barries Kinderbuchklassiker Peter Pan unter dem Titel Peter Pan – Wie Wendy, John und Michael Darling fliegen lernten. Es handelt es sich denn auch nicht um eine wörtliche Übersetzung der originalen Vorlage als vielmehr um eine künstlerische
Auseinandersetzung mit dem Text. Kempker interpretiert die magische Atmosphäre und den kindlichen Geist des Originals auf ihre eigene, poetische und experimentelle Weise und schafft damit ein «wunderbar amoralisches Buch für Erwachsene». Kempker verbindet in ihren Arbeiten literarische Formen mit künstlerischen und philosophischen Ansätzen und hinterfragt spielerisch konventionelle Erzählstrukturen. Ihr Schaffensprozess dokumentiert sie in ihren zahlreichen Notiz- und Skizzenbüchern. So auch im Fall der Peter Pan-Nachersetzung: «Spontan gesammelte Ideen» und Skizzen bilden ein Fundament, das stark destilliert und kondensiert die Grundlage für ihr literarisches Werk schafft.
Magnus Wieland erinnert Buchstabe für Buchstabe: Jürg Laederach übersetzt Alphabetical Africa
Alphabetical Africa (1974) von Walter Abish ist eines der kühnsten Werke experimenteller Prosa. Es handelt sich um eine avancierte Form des Lipo- oder Leipogramms, einer Technik, bei der bewusst auf einen oder mehrere Buchstaben beim Schreiben verzichtet wird. Abish setzt diese Technik in einer progressiven wie regressiven Weise um: Das erste Kapitel enthält lediglich Wörter, die mit dem Buchstaben a beginnen, das zweite Kapitel Wörter mit den Anfangsbuchstaben a und b, das dritte a, b, c – und so weiter, bis das komplette Alphabet Anwendung findet. Nach dieser Klimax nehmen pro Kapitel die erlaubten Anfangsbuchstaben wieder ab, bis zuletzt alle Wörter erneut nurmehr mit ‹a› anfangen. Für die
Übersetzung bedeutet dies eine besondere Herausforderung, denn es gilt sowohl dem Inhalt gerecht zu werden als auch die Kompositionsregel im Deutschen konsequent anzuwenden, was notgedrungen zu ganzen anderen Lösungen als im Original führen muss. Jürg Laederach, seinerseits ein grosser Sprachexperimentator, nahm sich der Aufgabe an: Wie schwierig sich das zuweilen gestaltete, zeigen die fett markierten Worte mit nicht erlaubten
Anfangsbuchstaben auf dem Lektoratsmanuskript. Fehler, wie sie übrigens selbst Abish im Original unterliefen und sogar im Druck stehengeblieben sind.
Urs Engeler wiederum schreibt über das Übersetzen in den Engeler Verlagen.
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